Interview zur KI

Dr. Thomas Frauenlob im Interview mit Kilian Pfeiffer

1. Monsignore, wenn Sie auf die zunehmende Präsenz von Künstlicher Intelligenz im Alltag blicken, welches Menschenbild steht Ihrer Meinung nach hinter dieser technischen Entwicklung?
Das entsprechende Menschenbild ist meinem Eindruck nach in Max Frischs Roman "Homo faber", aus dem Jahr 1957, treffend beschrieben. Der „moderne Mensch“, in einem Machbarkeitswahn gefangen, glaubt, das gesamte Leben nach den Gesetzen von Logik und Wissenschaft organisieren zu können. Dieses Streben ist an sich nicht verwerflich, wohl aber in seiner Grundannahme falsch, mit diesen Instrumenten die gesamte Wirklichkeit erfassen zu können. Denn mit Logik und einem naturwissenschaftlich begründeten Wissenschaftsbegriff bleiben weite Teile der Wirklichkeit ausgeblendet, wir bleiben gewissermaßen blind. Diesem durchaus erkannten Mangel meint man wenig überzeugend mit der Feststellung begegnen zu können, das es lediglich eine Frage der Zeit sei, bis der Mensch über alle Bereiche der Wirklichkeit verfügen werde – so die Theorie. Es zeigt sich ein Menschenbild, das den Menschen realitätsfern überhöht, dadurch letztlich schrecklich überfordert und unberechenbar macht.

2. Die Kirche spricht vom Menschen als Ebenbild Gottes. Wie lässt sich dieser Gedanke in einer Zeit bewahren, in der Maschinen vermeintlich 'klüger' und 'leistungsfähiger' werden?
Da liegen genau die Grenzen des Machbaren, selbst durch künstliche Intelligenz. KI wird Tag für Tag ausgefeilter und betrifft immer mehr Lebensräume, ist aber immer nur mit der Sammlung und Aneinanderreihung und Kombination von Informationen beschäftigt. Das Ergebnis bleibt, so unzählbar die Einzelteile auch sein mögen, immer endlich. Es gilt jedoch der aristotelische Grundsatz: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Der Mensch ist ein Wesen, das über sich selber hinausgreift, das in der Hoffnung auf eine transzendentale Wirklichkeit lebt. Die Bibel und der Glaube nennen es Gott, der kein statischer Ankerpunkt ist, sondern lebendig, wirksam, gerecht, erlösend in unsere Welt hereinwirkt. Unüberbietbar sehen wir das in Jesus Christus, der als sichtbarer Sohn des unsichtbaren Gottes die Botschaft vom Reich Gottes, einem gnädigen Gott, einem Erlöser, einer Auferstehung gebracht hat. Diese Dimension ist mit bloßer Sammlung von Daten nie er- oder begründbar.

3. Immer mehr Entscheidungen werden Algorithmen überlassen, von Kreditvergabe bis hin zur Diagnostik. Was macht das mit unserem Selbstverständnis als freie, verantwortliche Wesen?
Zunächst sind Algorithmen ja zur Problemlösung „erfunden“ worden, übrigens von einem arabischen Gelehrten, von dessen Namen auch die Bezeichnung kommt. Inhaltlich ist damit eine Abfolge von Einzelschritten oder Prozessreihen bezeichnet, die möglichst viele Informationen aufgreifen und verknüpfen. Wir spüren die Wirkung in zunehmend personalisierten Angeboten, die uns aus verschiedenen Quellen erreicht. Dem gilt es zu begegnen, um nicht zum technischen Spielball degradiert zu werden. Die einzige Gegenwehr sehe ich derzeit darin, den persönlichen Gebrauch von social medias bewusst zu steuern und sich des gut menschlichen Verstandes zu bedienen, um eigenständig die Informationen zu sortieren und zu reflektieren. Das ist angesichts der rasant voranschreitenden Perfektionierung des Systems nicht ganz leicht, aber auch nicht unmöglich. Wenn wir nicht bedachter sind, werden Algorithmen uns immer stärker lenken, unsere Meinungen prägen und bspw. unser Konsumverhalten, unser politisches Weltbild, etc. bestimmen. Bleiben immer mehr Menschen unkritisch, sehe ich die Menschheit im Rückschritt in die Zeit vor der Aufklärung, deren Ziel ja die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit war.

4. Kann Technik, so effizient sie auch ist, je wirklich erfassen, was einen Menschen ausmacht? Oder droht der Mensch in einer datengesteuerten Welt auf seine Funktion reduziert zu werden?
Ganz eindeutig! Wie bereits beschrieben, wird der Mensch heute schon zu oft lediglich auf ein Wesen reduziert, das produziert oder konsumiert, also zum Gegenstand von Mechanismen und in der Abhängigkeit von Menschen, die über die Informationen verfügen. Langfristig wird der Mensch ja selbst zum Produkt, mit dem gehandelt und Geld verdient werden kann. Ich habe vor kurzem gehört, weniger als zehn Personen verfügten über 70% der Informationen in der Welt. Denen dürfte am Wohlstand der Massen wenig gelegen sein. Im Gegenteil: Sie werden höchstes Interesse am Funktionieren der Menschheit zu ihren Gunsten haben. Die Verführung, die „Puppen tanzen zu lassen“ wie ein Marionettenspieler ist groß. Zum Geschäft gehört nicht selten, die Sache mit Stiftungen in humanitären Mäntelchen zu aufzuhübschen. Ich kann freilich niemand die gute Intention absprechen, wage aber zu sagen, dass es allzu leicht um die Beförderung der eigenen Vorteile oder einfach einer kranken Lust an der Macht geht.

5. Viele Menschen erleben den technischen Wandel als Entfremdung: Jobverlust, Kontrollverlust, Identitätskrisen. Welche seelsorgerlichen Erfahrungen machen Sie mit solchen Ängsten?
Es ist in der Tat so, dass die Ängste wachsen, oft diffus, manchmal sehr konkret. Die rasante technische Entwicklung mit zahlreichen „fake news“ und virtuellen Täuschungen führt offenbar bei vielen Menschen zum Verlust des Grundvertrauens. Auch die Verhältnismäßigkeiten, „was ist wichtig, was nebensächlich“, geraten aus dem Lot. Ein grundlegendes Misstrauen gegen alles und jeden wächst, Gefühle von Kontrollverlust, Realitätsverlust und Identitätskrisen stellen sich ein. Die Warteschlange bei den Psychotherapeuten zeugen bei einer wachsenden Zahl von Menschen vom Verlust eines gesunden Selbstbewusstseins und der geistig-seelischen Hilfsbedürftigkeit. Nicht anders erfahren wir dies in der Einzelseelsorge.

6. Kann Glaube in dieser Umbruchszeit eine neue Verankerung bieten? Nicht als Technikfeindlichkeit, sondern als Gegenentwurf zu rein funktionalem Denken?
Selbstverständlich! Es wäre illusorisch, die Entwicklung in ihrer Dynamik aufhalten zu wollen, was auch keinen Sinn ergäbe, denn auch die Kirche und ihre Mitglieder profitieren davon. Wir werden viele dieser Techniken, aber ebenso kreative Köpfe und vertrauenswürdige Menschen mit einem gebildeten Gewissen und humaner Autorität brauchen, um den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft begegnen zu können. Vielleicht hilft uns die technische Entwicklung sogar dazu, das Wesen des Menschen deutlicher zu erkennen, nämlich dass der Mensch seinen Anker in der Transzendenz braucht, wenn er zu sich selbst kommen will - eine Dynamik hin zu Gott. Ohne Gott kann ich zwar leben, aber dieses Leben bleibt reduziert, hinter seinen Möglichkeiten zurück, ja letztlich um sein eigentliches Wesen gebracht. Jesus zitiert bei den Versuchungen in der Wüste das Alte Testament: „Nicht nur vom Brot lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt (Mt 4,4). Das ist heutzutage vielleicht aktueller denn je.

7. Ist die Vorstellung, dass Maschinen irgendwann 'geistig' auf Augenhöhe mit uns kommunizieren, aus christlicher Sicht problematisch? Oder sehen Sie darin auch Chancen?
Wie bereits dargelegt wird KI bei aller Weiterentwicklung dies nie schaffen. Es wäre so, als würde ich das Betrachten eines Kunstwerks reduzieren auf die dazu verwendeten Materialien und die angewandten Techniken oder auch die Darlegung der Zeitumstände. Letztlich ist es ein nicht fassbares „Mehr“, ein bestimmter Spirit, Esprit, der es erst zum Kunstwerk werden lässt. Eine Botschaft, die Teil des Erschaffers selbst bewusst oder unbewusst in sein Kunstwerk hineinlegt oder das beim Betrachter bestimmte Reaktionen auslöst. Eine Intuition, die sich jedoch der Beschreibbarkeit weitgehend entzieht. Diese entscheidenden geistigen-geistlichen Aspekte des menschlichen Lebens sind nicht sammel- oder machbar.

8. Wie verändert sich die Verantwortung des Einzelnen, wenn Entscheidungen zunehmend von KI-Systemen vorbereitet oder getroffen werden?
Eine „Maschine“ kann nicht „moralisch“ sein, das ist dem Ethos des Menschen in der Anwendung seiner Freiheit nach Maß des gebildeten Gewissens vorbehalten. Insofern sind und bleiben die Erschaffer dieser Möglichkeiten für ihre Produkte verantwortlich. Bekanntlich ist eigentlich alles sowohl zum Wohl oder auch zum Schaden der Menschheit einsetzbar. Es braucht einen inneren Kompass, unser Gewissen, um alle Möglichkeiten zum Guten einzusetzen und die Grenzen der Anwendung für Mensch und Schöpfung recht einschätzen zu können.

9. Was bedeutet Nächstenliebe in einer Welt, in der Kommunikation, Pflege und Betreuung teilweise durch digitale Assistenten ersetzt werden (sollen)?
Es gibt gerade im Bereich der Medizin und Pflege beachtliche Entwicklungen durch den praktischen Einsatz von Ergebnissen der Robotik oder Computertechnik. Alles das kann angesichts des Fachkräftemangels sicher helfen; ob es aber jemals die empathischen Fähigkeiten der Nächstenliebe ersetzen kann, wage ich zu bezweifeln. „Cor ad cor loquitur“ – (nur) das Herz spricht zum Herzen, sagt Henry Kardinal Newman!

10. Welche Haltung wünschen Sie sich von Kirche und Gesellschaft im Umgang mit künstlicher Intelligenz, zwischen Fortschrittsbegeisterung und ethischer Wachsamkeit?
Es gilt, angesichts der vielen neuen technischen Möglichkeiten ethisch wachsam zu sein und – sofern nötig – die Stimme zu erheben. Kardinal Ratzinger sagte einmal über den modernen Menschen, er sei wie einer, der eine neue Maschine gekauft, aber die Gebrauchsanleitung nicht gelesen habe. Wir sollten eine solche Gebrauchsanleitung aus der Perspektive der „Gott-Verwiesenheit des Menschen“ erarbeiten und der Welt zur Verfügung stellen. Papst Leo XIV. hat ja bereits in einer seiner ersten Ansprachen eine Parallele gezogen von der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts, derer sich sein Namensvorgänger Leo XIII. angenommen hat, hin zur heutigen Frage des Umgangs mit künstlicher Intelligenz. Der Papst sieht bei KI eine ähnliche Kraft der radikalen Veränderung unserer Welt. Ich bin sicher, dass er sehr bald dazu Grundlegendes als Orientierung sagen wird.

 

Bericht: Kilian Pfeiffer
Foto: Fotomontage, Pixabay

 

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